Sinne und ihre Relevanz im Schulbau
Wollen wir uns mit dem Bauen beschäftigen, ist unsere Wahrnehmung ein wichtiges Thema.
Sehen
Hören
Schmecken
Riechen
Tasten
Die Frage ist, wie wirkt die Form des Baukörpers auf den Menschen, sein Inneres?
Das Äußere auf das Innere (Kirchenbau), aber auch das Innere wirkt auf das Äußere.
Sinne wie das Sehen und das Hören werden in unserer Gesellschaft über Gebühr belastet. Schmecken und auch Riechen nehmen eine geminderte Rolle im Leben der Meisten ein, Tasten ist eher unterrepräsentiert.
Reize nach Kükelhaus
Ich habe im Unterricht einmal das Tasten mit den Füßen zum Thema machen wollen, und zog daher meine Schuhe und Strümpfe im Unterricht vor den Schülern aus. Gelächter machte sich im Raum breit. Nicht das alle ihre Schuhe und Strümpfe ausgezogen hätten, und sich die neue Erfahrung in Freude ausgedrückt hätte. Vielmehr machten sie sich Sorgen um ihren Geruchssinn.
Kükelhaus beschreibt, dass das Leben aus Reizen besteht:
„Das Leben lebt vom Reiz. Der Reiz seinerseits ist wiederum etwas sehr Verletzliches - das heißt, er darf weder zu stark noch zu schwach sein. Schwache Reize führen zur Entstehung von Organen, mittelstarke kräftigen sie; starke Reize hemmen und überstarke Reize zerstören.“
Nehmen wir uns seine Aussage noch einmal vor: „Leben lebt vom Reiz…“. Wenn unsere Architektur/ Innengestaltung leben im Innenraum ermöglichen soll, dann ist es an uns, den Planern, die Möglichkeit von Reizen für die Sinnesorgane zu schaffen. „…Der Reiz seinerseits ist wiederum etwas sehr Verletzliches… “. In mir entsteht das Bild von einem Küken in der Hand. - …das heißt, er darf weder zu stark noch zu schwach sein...“ Um die Stärke des Reizes abstimmen zu können benötigen wir als Planer ein Einfühlen in die Architektur und ihre Wirkung auf die Sinne.
Nennen wir es den sechsten Sinn, die Intuition.
Das Entstehen von Organen
„…Schwache Reize führen zur Entstehung von Organen,…“ Diese Aussage war für mich ganz neu und spannend. Wie kann Kükelhaus das gemeint haben?
Ich erinnere mich an ein Bauch von Erwin Thoma „Dich sah ich wachsen“ . Hier erzählt der Autor von einem blinden Kunden, der in seiner Gegenwart eine Faszination für Holz entdeckt hat, lediglich durch das haptische Begreifen der Holzoberfläche.
Im Laufe der Zeit machte sich der Blinde einen Spaß daraus, in sich ein Organ entstehen zu lassen, welches diese schwachen Reize aus der Holzoberfläche aufnehmen und verwerten konnte.
Es ist spannend zu untersuchen welche Organe wir ausgebildet haben, obwohl es uns zumeist gar nicht bewusst ist. Harald Jordan, Autor des Buches „ Räume der Kraft“ beschrieb in einer Schulung das Phänomen, dass man seinen Namen immer hört, auch wenn bei einem Fest, weit entfernt Gäste sich über einen unterhalten.
Organe kräftigen
„…mittelstarke kräftigen sie…“ Wenn erst einmal ein Organ gebildet wurde, so wird ein schwacher Reiz ggf. zu einem mittelstarken Reiz. Unserem blinden Probanden war es zum Beispiel nach einiger Zeit möglich, alle Holzarten durch Begreifen zu erkennen. (inwieweit sein Geruchssinn beteiligt war, lassen wir bei dieser Betrachtung einmal außer Acht). Der Übergang des schwachen und mittelstarken Reizes ist also fließend und von Person zu Person unterschiedlich. In der Gestaltung von Räumen ist diese Kategorie allerdings für uns wichtig, und eine Definition wäre hilfreich. Versuchen wir also mittelstarke Reize im Kontext mit den weiter beschriebenen Reizen sehen.
Blockaden durch starke Reize
„…starke Reize hemmen…“
Hierzu erzähle ich die Geschichte von meinem Aufenthalt in Indien. Zu Studienzeiten bin ich durch Indien gereist. Besonders in Gedächtnis geblieben sind mir die vielen Fahrten mit dem Bus. Nicht der Unstand, dass ich immer große Ängste ausgestanden habe, ob wir auch heil an unserm Zielort ankommen, vielmehr der Geruch und die stickige Luft bei solchen Busreisen.
Alle standen eng an eng, und hängten sich im Gang stehend an die Haltegriffe, um nicht wie ein Geschoss durch das Businnere katapultiert zu werden. Der Geruch von altem Achselschweiß, Gewürzen, Hühnern und Ziegenböcken, Tiere waren natürlich auch immer zugegen, gepaart mit dem Gefühl nicht ausweichen zu können, führte bei mir zu einem Hemmnis meines Riechens,“…und überstarke Reize zerstören…“ ja vielleicht zu einem zerstören meines Riechorgans. Noch fünfzehn Jahre nach diesen überstarken Reizen kann ich menschlichen Körpergeruch kaum wahrnehmen.
Bestimmt findet jeder für das Thema der überstarken Reize in seiner Umgebung genug Beispiele.
Die Frage lautet nur, lassen sich zerstörte Sinne wieder herstellen? Oder können wir die Jugendlichen, die mit übergroßen Kopfhörern, wie Außerirdische das Bild unser Städte prägen, getrost vergessen?
Blockaden in Pferdeausbildung
Zu diesem Thema möchte ich Ihren Blick auf die Pferdeausbildung lenken, ein Themenblock mit dem sich meine Frau sehr intensiv beschäftigt.
Pferde werden in Ihrer Ausbildung mit vielen Reizen überflutet.
Viele Reize finden, je nach ausbildungsgrad des Reiters, zeitgleich statt. Der Frust des Reiters wird oft an die Pferde weitergegeben. Viele Reize sind überstark und haben zerstörende Wirkung.
Wer sich für Pferde interessiert, kennt den leblosen Ausdruck der Augen dieser bemerkenswerten Wesen. Gebrochen heißt es in der Reitersprache.
Nun gibt es einige Leute die sich zur Aufgaben gemacht haben, diese Zerstörung wieder rückgängig zu machen.
Bei blockierten Pferden wird so vorgegangen, dass mit einem schwachen Reiz begonnen wird, dann folgt ein leichter Reiz, dann ein entschiedener mittelstarker. Wenn das Pferd dann keine Anzeichen auf den Reiz zeigt, beginnt man wieder mit einem schwachen Reiz, und so weiter. Mit viel Geduld werden Zerstörungen auf diese Art wieder rückgängig gemacht, Blockaden gelöst.
Für unseren Architekturentwurf heißt dies also, dass wir uns in der Zone von schwachen und mittelstarken Reizen bewegen, und dass dieser Bereich auch für Kinder und Jugendliche geeignet ist, die schon Zerstörungen im Sinne von Kükelhaus aufweisen.
Die Nichtinanspruchnahme unserer Sinne
Weiter gibt Kükelhaus zu bedenken:
„Was uns erschöpft, ist die Nichtinanspruchnahme der Möglichkeiten unserer Organe und unserer Sinne, ist ihre Ausschaltung, Unterdrückung ... Was aufbaut, ist Entfaltung. Entfaltung durch die Auseinandersetzung mit einer mich im Ganzen herausfordernden Welt.“
Nach dieser Aussage ist unsere Kreativität gefragt, wie wir in der heutigen Zeit beim Bauen und der Auswahl der Materialien die gesamten Sinne anregen können, damit die Erschöpfung der Schüler und Kinder durch die Architektur nicht unnötig gesteigert wird.
Unterricht ohne Erschöpfung
Lehrer planen ihre Unterrichtseinheiten nach Möglichkeit so, dass Phasen der Anspannung, Phasen der Entspannung folgen.
Dafür ein Beispiel aus meinem Unterricht:
Die ersten Übungen zum Freihandzeichen sollte, aus meiner Sicht mit viel Freude begonnen werden. Erst zeichnen meine Schüler Striche, bis diese routiniert und selbstbewusst über das Blatt fließen, dann kommt der Übergang zu Kreisen, indem sie die Ellbogen von dem Tisch abheben und so lange einen Kreis rollen, bis es aussieht wir ein Vogelnest von oben. Nun folgt die Ellipse in der gleichen Körperhaltung.
Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Schüler der Meinung, sie seien wieder im Kindergarten angekommen.
Jetzt stelle ich die Herausforderung einer Kugel unter Verwendung aller bisher geübten Techniken. Es bildet sich eine dreidimensionale Form auf dem Blatt ab, die jeden Schüler gefühlsmäßig in das Fach Freihandzeichnen zurückholt.
Danach folgt das Zeichnen von Proportionen, indem die Anfänger ein A4 Blatt gefaltet aufrecht vor sich aufstellen. Das korrekte abgreifen von Proportionen ist eine anstrengende Arbeit. Wenn dies einigermaßen klappt, sinkt der Energiepegel der Schüler rapide ab. Aber die Unterrichtseinheit ist noch nicht vorüber. Der letzte Arbeitsauftrag lautet dann: „Zeichnen sie einen Papierflieger mit seinen perspektivischen Verkürzungen. Diese Flieger darf aber erst gezeichnet werden, wenn der Lehrer die Flugtüchtigkeit abgenommen hat.
Mit dieser Ansage folgt immer ein großes Chaos, und gefühlsmäßig agieren die Zeichner in der dritten bis vierten Klasse. Jeder versucht seinen Nachbarn durch einen besseren Flieger zu übertrumpfen, beim Falten wandert die Zunge aus dem Mund, Freude und Lebendigkeit macht sich Luft, der Unterricht scheint nicht mehr steuerbar. Die bewundernden Blicke des Lehrers, und die Freigabe der Zeichenobjekte, führen dann nach und nach wieder zum konzentrierten Arbeiten und die letzten Zeichnungen weisen gute Ergebnisse auf.
Der Mülleimer ist nach einem solchen Zeichenunterricht allerdings prall gefüllt, auch wenn manche Flieger verstohlen ihren Weg in die Schultaschen finden.
Den Aufbau des geschilderten Unterrichtes vergleiche ich gern mit dem Einatmen und dem Ausatmen. Das konzentrierte Arbeiten der Schüler will ich hier als Ausatmen bezeichnen.
Wer hat den Längsten Athem?
Wenn Sie einmal lange Ausatmen, dann führt es irgendwann zu einem Stillstand. Diesen übertragenden Zustand kennen wir bei unseren Schülern sehr genau, nur das er nicht wirklich bei allen gleichzeitig eintritt.
Der Eine hat also einen längen Atem, und Andere einen kürzern. Wie lang der Atem allerdings wirklich ist, kann kein Lehrer beurteilen, da die Länge der Konzentration bei Schülern eher psychologischer Art zu sein scheinen. Oft ist es also nicht der Unterricht, der langweilig ist, sondern die Geschichte, die sich der Schüler erzählt: „Schule ist langweilig“.
Die Schulzeit unserer Ahnen
Wenn ich die Rentnergeneration zu ihrer Schulzeit ausfrage, dann höre ich oft Geschichten von Zucht und Ordnung, das Thema des langweiligen Unterrichts ist mir bei diesen Unterhaltungen nicht oft untergekommen. Vielleicht hat sich die Sicht des Greisen auf seine Schulzeit relativiert, oder die Lehrer waren besser. Das kann alles stimmen, aber wir sollten uns vor Augen führen, was sich in den letzen 100 Jahren alles verändert hat.
An der Wurzel des Problems
„… künstlichen Reizüberflutung die durch die Überforderung bestimmter Sinne wie Sehen und Hören zum weiteren Abbau einer differenzierten Wahrnehmungsfähigkeit beiträgt…“ Kükelhaus
Viele Menschen sind täglich einer künstlichen Reizüberflutung ausgesetzt. Wie beim Reitpferd, das gleichzeitig drei bis vier Impulse erhält, die zum Teil (leider) gegensätzlich sind, gibt es die Gefahr, dass wir abstumpfen. Mit zunehmendem Alter können Pferde der Verwirrung durch Routine entgehen. So sehe ich die Angelegenheit auch bei uns Erwachsenen.
Meine Schüler nennen diese Routine so manches Mal „ ignorant“. Ich sage, dass ich gelernt habe, einige Wahrnehmungsorgane einfach auszuschalten.
Aber was ist mit unseren Kindern? Sie werden mit Reizen überflutet, und sind noch nicht in der Lage Prioritäten zu setzen. Sie sind schnell überfordert. Sind die Sinne, nach Kükelhaus, wie das Sehen und das Hören gehemmt?
Um vor sich selber bestehen zu können, und dem Frust auszuweichen, dass sie nicht fähig sind sich auf etwas zu konzentrieren, bilden diese Kinder, aus meiner Sicht, einen Schutzmechanismus, eine Geschichte: „Schule ist langweilig“
Na also, haben wir bei der Ausarbeitung der Sinne endlich den Schuldigen entwarft, der für die Zustände an unseren Schulen zuständig ist? Die heutige Zeit, unsere Umwelt, mit ihren Möglichkeiten, in der man sich verlieren kann?
Schulbau ist also eine sehr wichtige Angelegenheit um junge Menschen zu unterstützen. Wie wird nun der Schüler optimal gefördert?
„Die Entwicklung des Menschen wird von derjenigen Umwelt optimal gefördert, die eine Mannigfaltigkeit wohldosierter Reize gewährleistet. Ungeachtet der Frage, ob diese Reizwelt von physischen oder sozialen Verhältnissen und Faktoren aufgebaut ist - die Vielgestaltigkeit der Umwelt ist Lebensbedingung.“ Kückelhaus
Unterricht und Architektur
Also, ein guter Lehrer kann es noch immer raus reißen. Was heißt diese Aussage, bezogen auf die Architektur? Neben den Reizen der Architektur selbst, sollten auch soziale Reize durch Räume und deren Anordnungen geschaffen werden.
Was sind soziale Reize?
Essen gehen, ins Kino gehen, etwas trinken gehen… Begegnungen. Begegnungen fördern das Vertiefen der eigenen Erfahrungen. Der Austausch mit anderen bietet auch den Impulse auf neue Sichtweisen. Schule als Ort der Begegnung.
Mir schwebt das Bild eines Brotteiges vor. Das kneten stimuliert die Hefe im Teig, beim gehen lassen kann sich die Hefe ausbreiten, der Teig nimmt an Volumen zu. Wenn ich dann wieder den Teig knete, scheine ich das ganze Volumen wieder raus zu walken. Doch kurze Zeit, nachdem ich den Teig wieder hab gehen lassen, wird er noch größer als vorher.
Die Wärme beim Hefeteig ist die Liebe in der Kinderausbildung
Viele von Ihnen wissen natürlich um die Randbedingen dieses Vorgangs: Wärme!
Es ist wünschenswert, wenn die Architektur von Schule und Kindergarten die optimalen Möglichkeiten schaffen, damit die Kinder ein Maximum an sozialen Reizen aufnehmen können, aber auch Orte finden, an denen Sie diese Reize verarbeiten, um wieder neue Reize aufzunehmen.
Der architektonische Raum sollte besonders die Lehrer würdigen, damit sie aus sich heraus die Wärme bieten können, die die Schüler gerade in der heutigen Zeit benötigen. Das heißt konkret, dass besonders die Lehrer Räume brauchen, um sich gegenseitig auszutauschen, ja zu coachen.
Wie können solche Räume geplant werden. Räume der Begegnung, vielleicht im Außenraum. Dazu braucht es die Vorstellungskraft des Architekten. Hat er die Örtlichkeit in sich „aufgenommen“ so gelingt ihm die Komposition der verschiedenartigen Räume.
Lesen Sie auch: Sinne